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Exolec – das zivile Exoskelett

Wie bewegen wir uns in der Zukunft? Der folgende Beitrag ist der Enzyklopädie für Zukunftsfragen – kurz Futurpedia – entnommen, die Teil des Buches «Schubumkehr. Die Zukunft der Mobilität» ist. Heute im Fokus: Das stabilisierende, die menschliche Bewegung elektro-mechanisch unterstützende Aussenskelett.

Hintergrund

Künstliche Exoskelette wurden zunächst vor allem im militärischen Bereich entwickelt, um die Leistungsfähigkeit und Panzerung von Infanteristen zu verbessern. Schulterhohe Gehrahmen, bestehend aus Beinschienen, hydraulischen Gelenken und Brennstoffzellenrucksack, sollten die Soldaten befähigen, Lasten von über 100 kg sicher und schnell über schwieriges Terrain zu befördern. Auch in der Medizin wurden früh Exoskelette getestet, um Querschnittsgelähmten wieder mehr Bewegungsfreiheit zu geben.

 

Exolec-Spezifikationen

Der Durchbruch gelang den Gehmaschinen aber erst mit dem Einsatz neuer Werkstoffe, mit deren Hilfe die vorher monströs anmutenden Aluminiumgerüste auf eine Art Taucheranzug reduziert und damit preislich wie ästhetisch massenmarktkompatibel wurden. Die Entwickler zielten bei ihrer Erfindung zunächst auf den stetig wachsenden Outdoor-Markt. Als Sportgerät konzipiert, sollte der so genannte Exolec Wanderern wie Bergsteigern zu mehr Ausdauer verhelfen und damit neue Tourenerlebnisse ermöglichen. Letztlich war der Exolec also die Übertragung des Pedelec-Prinzips, des elektrisch unterstützten Velofahrens, in das Fußgängersegment.

In den atmungsaktiven neoprenartigen Grundstoff sind Sehnen aus einem neuartigen Material eingearbeitet, die sich durch elektrische Impulse zusammenziehen und eine stahlgleiche Festigkeit erreichen können. Die Steuerungselektronik sorgt im Zusammenspiel mit den gemessenen Muskelreizen lautlos für eine synchrone Unterstützung der individuellen Gehbewegung, allein durch das abgestimmte Weiten und Straffen verschiedener Areale des eng anliegenden Anzugs. Der Grad der Kraftverstärkung und Haltgebung kann selbst gewählt werden. Die im Rückenbereich positionierten plattenförmigen Batterien sichern nicht nur einen achtstündigen Dauereinsatz, sondern haben im Falle eines Sturzes auch die Funktion von Protektoren. Optional kann der Anzug durch einen im Kragen integrierten Kopfairbag ergänzt werden.

Zielgruppenverschiebung

Während das Produkt im Wandersport an mangelnder Nachfrage scheiterte, wurde es in einem anderen Marktsegment innerhalb kürzester Zeit zum Kassenschlager und veränderte die städtische Alltagsmobilität grundlegend. Nachdem zunächst nur ein paar junge urbane Trendsetter mit dem Exolec zu sehen waren, entdeckte die Generation der jungen Alten das leichte Exoskelett als neue Funktionsbekleidung und Rollatorenersatz. Quasi unsichtbar unter normaler Kleidung tragbar, gibt der unscheinbare Roboteranzug vielen Senioren mit ersten motorischen Einschränkungen das notwendige Gleichgewicht, die erforderliche Kraft und damit die alles entscheidende Sicherheit für die eigenständige Fortbewegung zu Fuß zurück. Gleichzeitig wirkt Exolec wie ein Trainingsgerät. Die als Abstieg und ästhetische Zumutung empfundene Abhängigkeit von einem Rollator entfällt und reduziert das gefühlte Alter spürbar. Die durchschnittlichen Fußwegelängen der Altersgruppe 70+ stieg dadurch in den vergangenen Jahren in allen Mobilitätsstatistiken signifikant an. Staatliche Forschungsprogramme fördern die Weiterentwicklung des Systems, da dank der neuen Beweglichkeit älterer Menschen Infrastrukturanpassungen in Milliardenhöhe gestreckt oder vollständig vermieden werden können. Verkehrsrechtlich wurde für die Exolec-Nutzer die neue Kategorie „Minimalmotorisiert“ eingeführt.

Vor den Sommerferien erhalten Sie noch einmal einen Einblick in die Zukunft der Mobilität. Lesen Sie Ende Juni hier die nächste Anekdote aus Futurpedia!

 

Der Autor

Thomas Sauter-Servaes, Mobilitätsforscher und Leiter Studiengang Verkehrssysteme an der ZHAW School of Engineering