
Eine Revolution der Waren-Distribution?
Die zunehmende Urbanisierung stellt die Logistik vor große Herausforderungen – doch die Branche antwortet, und zwar mit innovativen Lösungen.
Haben Sie heute schon einmal tief eingeatmet? Falls Sie in der Stadt leben, vielleicht mit weniger Genuss als auf dem Land: Denn dort, wo viele Personen wohnen und arbeiten, herrscht dicke Luft. Die Ursachen dafür sind vielfältig, aber überwiegend vom Menschen gemacht: Industrie, Landwirtschaft und Privathaushalte sind für die Luftverschmutzung verantwortlich – und natürlich der Verkehr. Vor allem die Klein-Transporter, die durch den wachsenden Online-Handel boomen, haben eine schlechte CO2-Emissionsbilanz. Für die Logistik in urbanen Ballungsräumen, kurz City-Logistik, sind daher neue Konzepte gefragt. Und die Thematik drängt, denn immer mehr Menschen leben in Städten. 2050 werden nach Schätzungen der Vereinten Nationen 70 Prozent der Weltbevölkerung Stadtbewohner sein. In Österreich ist dieser Grad der Urbanisierung schon nahezu erreicht. Und all diese Menschen müssen mit Waren versorgt werden. Kein Wunder also, dass die Aufmerksamkeit der Verkehrs- und Städteplaner oft als Erstes auf den Lieferverkehr fällt.
Die neue City-Logistik ist dezentral
Wie können nun Waren schnell, kostengünstig und dabei ökologisch nachhaltig dorthin gebracht werden, wo sie gebraucht werden? Ein Lösungsansatz der City-Logistik ist die Dezentralisierung – weg vom Zentrallager hin zu regionalen Warenterminals und Microcenters. Diese Umschlagplätze können sowohl gemein- als auch privatwirtschaftlich organisiert sein. In Berlin etwa können alle Kurier-, Express- und Paket-Dienstleister (KEPs) Bento-Boxen als Verteilstation für Auslieferungen und Retouren nutzen. Dass sich das bezahlt macht, beweist die Bereitschaft zu Kooperation und Sharing in der stark von Konkurrenz geprägten Branche. Ähnlich platziert UPS morgens Lagercontainer in der Hamburger Innenstadt. Von diesen Hubs aus geht es mit Radkurieren weiter zur Zustellung. Auch Pick-up-Services in den Stores werden von einigen Unternehmen angeboten. Da jedoch mittlerweile 62 Prozent der Österreicher im Internet einkaufen, stehen immer mehr Geschäftslokale in den Innenstädten leer – Platz, der von KEPs in Umschlagplätze verwandelt werden könnte.
Ganz schön smart: Automatisierung und KIs
Die bestehende Infrastruktur für neue Formen der City-Logistik zu nutzen, das ist auch die Idee hinter dem cloud-basierten Zustellservice Pakadoo. Dieser bündelt Zustellungen an Unternehmen mit privaten B2B-Lieferungen direkt ins Büro statt an die Wohnadresse. Dass erfolglose Zustellversuche verhindert werden, freut Empfänger ebenso wie Umwelt und Lieferdienst. Smarte Technologien und Automatisierung sind weitere wichtige Schlagwörter der City-Logistik. Künstliche Schwarmintelligenz könnte LKW-Flotten vorbeugend dorthin schicken, wo ein Algorithmus einen Bedarf vorhersagt. Autonome Kleinfahrzeuge wiederum könnten für Zustellungen an Kunden eingesetzt werden.
Von der Verkehrsvermeidung zur -entgrenzung
Eine häufige Maßnahme ist, den Lieferverkehr zu beschränken. Viele Innenstädte sind dafür entweder ständig oder zumindest zeitweise gesperrt. In Salzburg verhindern etwa Poller die Einfahrt außerhalb festgelegter Lieferzeiten. Gänzlich lässt sich der Zustellverkehr aber kaum vermeiden und so wird nach neuen (Verkehrs-)Wegen Ausschau gehalten. Die Suche führt mancherorts sogar in die Lüfte: Amazon Prime Air experimentiert seit 2016 mit Lieferdrohnen, die bei leichten Paketen bis 0,5 kg und Kurzstrecken den LKW in puncto Energieverbrauch schlagen. Busspuren für Nahversorger zu öffnen, erscheint da fast schon konservativ. Wird es also in den Städten bald von Drohnengeschwadern wimmeln? Wohl eher nicht, wenn man Experten glaubt. Denn rechtliche Bestimmungen, Sicherheitsbedenken, die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz sowie Wetterabhängigkeit verhindern derzeit, dass Drohnen demnächst in der City-Logistik eine größere Rolle spielen könnten.
Muskelkraft und E-Motor lösen Diesel und Benzin ab
Rosigere Aussichten prophezeien Forscher hingegen umweltfreundlichen Transportmitteln, die LKWs und Transporter mit Verbrennungsmotor ersetzen sollen. Zahlreiche europäische Länder und Städte denken seit geraumer Zeit laut über Diesel-Fahrverbote nach oder haben diese teilweise bereits eingeführt – etwa Paris mit seiner „Feinstaub-Vignette“. So plant beispielsweise die deutsche Post DHL, die gesamte Brief- und Paketzustellung auf lokal emissionsfreie E-Mobilität umzustellen. Die eingeschränkte Reichweite, die E-Autos auf Langstrecken (noch) zum Verhängnis wird, fällt in der Stadt nicht ins Gewicht. Dafür profitieren Anwohner vom geringen Geräuschpegel der E-Motoren, was die Belieferung von Nahversorgern und Co. sogar nachts andenken lässt. In Salzburg etwa setzen Stiegl und dm im städtischen Verteilerverkehr bzw. bei der Filialbelieferung seit Kurzem auf E-LKWs. Noch flexibler und platzsparender einsetzbar ist das Fahrrad. Immer mehr Lieferdienste – wie DPD Austria in Salzburg – steigen auf Lasten-Pedelec oder E-Bikes um. Mit Touristen besetzte Rikscha-Taxis und Radkuriere mit umgeschnallten Pizzakartons sind längst kein ungewohnter Anblick mehr. So übernimmt ein 200 Jahre altes Fortbewegungsmittel eine Vorreiterrolle in der City-Logistik der Zukunft. Wir dürfen gespannt sein, welche Konzepte und Technologien sich noch durchsetzen werden …